Am langen Weg zu verpflichtenden Menschenrechtsstandards für transnationale Unternehmen – Station Genf

Ute Mayrhofer und Marieta Kaufmann, Anwaltschaftsreferentinnen der Dreikönigsaktion, nahmen im Oktober in Genf an der 4. Sitzung der Verhandlungen für einen „UN-Vertrag zu Wirtschaft und Menschenrechten“ teil. Zusammen mit Partnerorganisationen setzten sie sich dafür ein, dass Menschenrechte vor Wirtschaftsinteressen gestellt werden.

Ein Gespräch mit Marieta KaufmannUN_Treaty

Nach einer Verhandlungswoche bei den Vereinten Nationen bleiben viele Bilder, Fragen und Gedanken, die weitergedacht werden wollen. Was ist dir besonders prägnant im Gedächtnis geblieben?

Marieta Kaufmann: Besonders eindrucksvoll war für mich der Bericht unseres brasilianischen Projektpartners André Karipuna vom indigenen Volk der Karipuna aus Rondônia. Er sprach vom Massaker an seinem Volk, auf dessen Territorium Kautschuk abgebaut werden sollte. In den 1970er-Jahren lebten nur mehr acht Personen seines Volkes. Mit der Anerkennung indigener Rechte in der brasilianischen Verfassung von 1988 wurde das indigene Gebiet der Karipuna in den 1990er-Jahren anerkannt und demarkiert. Mittlerweile ist die Bevölkerungsanzahl wieder auf 58 Personen gewachsen. Bedroht sind die Karipuna in Rondônia aber immer noch, etwa durch illegale Abholzungen. André Karipuna forderte eindrücklich den Schutz indigener Gebiete vor ökonomischen Interessen, der im UN-Vertrag zu Wirtschaft und Menschenrechte verankert werden sollte.

Ich konnte nicht umhin, an das Statement des designierten brasilianischen Präsidenten Bolsonaro vom Februar dieses Jahrs zu denken, als er erklärte: “Wenn ich gewählt werde, wird der Indigene keinen Zentimeter Land mehr bekommen“. Die brasilianische Vertretung in Genf handelte prompt: außerhalb der Tagesordnung ergriff die Botschafterin Brasiliens Maria Nazareth Farani Azevêdo das Wort und forderte den Vorsitzenden der UN-Arbeitsgruppe auf, dafür zu sorgen, dass keine Stellungnahmen in Hinblick auf die politische Situation in Brasilien und die Wahlen abgegeben werden. Es war erschreckend zu sehen, wie heftig der brasilianische Staat reagiert.

Worum ging es bei den Verhandlungen und warum bringen wir uns als Dreikönigsaktion da ein?

Marieta: Das Beispiel des indigenen Volks der Karipuna ist exemplarisch für die Menschenrechtsverletzungen, die Unternehmen weltweit begehen. Kinderarbeit, Ausbeutung, Umweltverschmutzung, Fabrikunfälle, mangelnde Gesundheitsschutzmaßnahmen oder Landvertreibungen sind nur einige Beispiele. Betroffene können sich nur schwer wehren, vor allem wenn transnationale Unternehmen beteiligt sind. Komplexe Unternehmensstrukturen und -beziehungen machen es faktisch unmöglich, dass Betroffene gegen diese Unternehmen klagen. Dem will der UN-Vertrag zu Wirtschaft und Menschenrechte begegnen. Als international verbindliches Abkommen soll er die Rechtslücken schließen, die die Globalisierung erzeugt hat.

Welche Schwierigkeiten und Tücken gibt es auf dem Weg zu einem verbindlichen UN-Vertrag?

Marieta: Der vorgelegte Entwurf für einen UN-Vertrag zu Wirtschaft und Menschenrechten soll die Staaten verpflichten, Standards zum effektiven Menschenrechtsschutz für transnational agierende Unternehmen festzulegen. Wenn die Staaten selbst diese Reglementierung aber nicht wollen, werden sie einen solchen Vertrag nicht ratifizieren, geschweige denn umsetzen. Auf der anderen Seite muss immer auch die Perspektive der Betroffenen berücksichtigt werden. Wir unterstützen unsere Projektpartner/innen dabei, ihre Anliegen international vorbringen zu können. Wir dürfen aber nicht illusorisch sein. Allein der UN-Vertrag wird Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen kein Ende bereiten. Der Vertrag kann aber ein wesentlicher Beitrag sein, die Rechtsposition Betroffener zu verbessern, Rechtsstandards international zu harmonisieren und den Vorrang von Menschenrechten vor Profit politisch voranzubringen.

Du hast vor den vereinten Nationen selbst ein Statement verlesen. Wie ist es dazu gekommen und was war der wichtigste Punkt darin?

Marieta: Gemeinsam mit meiner Kollegin Ute Mayrhofer ist uns aufgefallen, dass bei den vielen Statements, die zum Vertragsentwurf eingebracht wurden, Kinder und Jugendliche nicht berücksichtigt werden, obwohl diese besonders verletzlich sind. Wie so oft bleiben diejenigen, die am meisten und am längsten betroffen sind, unsichtbar. Daher haben wir in diesem Statement betont, dass Kinder und Jugendliche als (potentiell) Betroffene von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen im Vertrag besonders berücksichtigt und ermächtigt werden sollten.

Wie geht es nun weiter in dem Prozess?

Marieta: Der erste Entwurf wurde im Juli vorgelegt. Bis Sommer 2019 soll ein überarbeiteter Entwurf vorliegen. Es wäre wünschenswert, wenn sich vor allem die Staaten, in denen die transnationalen Unternehmen ihren Sitz haben (wie zum Beispiel die Mitgliedsstaaten der EU) ernsthaft und konstruktiv beteiligen. Hier ist noch viel Handlungsspielraum nach oben. In einigen Bereichen wird juristisches Neuland betreten. Es sind Mut und politischer Wille gefragt – zu Veränderung, zum Ausprobieren, den ersten Schritt zu gehen, um Menschenrechten Vorrang vor ökonomischen Interessen zu geben. Die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen der Betroffenen ist hierbei das Um und Auf. Bei der nächsten Sitzung im Oktober 2019 könnten dann, wenn alles gut läuft, schon erste Teile des Vertrages finalisiert werden.

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Am langen Weg zu verpflichtenden Menschenrechtsstandards für transnationale Unternehmen – Station Genf

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